ChancenschenkerInnen erzählen ihre Geschichte
"Eigentlich habe ich schon zwei Jahre darüber nachgedacht, etwas neben der Arbeit zu tun. Etwas, was anderen hilft", erklärt Leoni Bauer. Vor einem Dreivierteljahr hat die 29-Jährige das als Chancenschenkerin wahr gemacht. "Jetzt verstehe ich nicht mehr, warum ich so lange gewartet habe," sagt sie und lacht.
Das Chancenschenker Projekt der Caritas wurde ins Leben gerufen, um benachteiligte Kinder und Jugendliche zu unterstützen. Die Freiwilligen helfen als Patinnen und Paten bei schulischen Aufgaben oder beim Deutsch lernen, fördern die Integration in soziale Strukturen wie beispielsweise den Eintritt in Vereine oder wirken bei der Freizeitgestaltung mit.
"Das erste Treffen war natürlich besonders spannend. Ich glaube für uns beide," erinnert sich Leoni Bauer. Bedingt durch die pandemischen Vorsichtsmaßnahmen haben sich Bauer und ihr Patenkind online kennengelernt. Dem ersten Gespräch folgten weitere Verabredungen online. "Es ist ganz komisch an die ersten Treffen zurückzudenken. Damals waren wir noch Fremde. Jetzt sind wir uns wirklich nah", besinnt sie sich.
An der Begeisterung, mit der Bauer über ihr Patenkind spricht, kann man erahnen, wie wichtig ihr diese Beziehung geworden ist. "Mein Patenkind ist eine wundervoll engagierte und zielstrebige Person. Das bewundere ich sehr an ihr", schwärmt Bauer. Spannend sind für die 29-Jährige auch die Berührungspunkte mit der Kultur ihres Patenkindes. "Manchmal bin ich echt erstaunt, was ich alles nicht weiß", meint sie und lacht. "Sie bringt mir viel bei und ich hoffe, ich tue das ebenso."
Ein Beispiel ihrer kulturellen Verständigung: Sie wollen zusammen Essengehen. Bauer erklärt, wie es zu diesem Plan kam: "Einmal hat sie zu mir gesagt, dass sie deutsches Essen ganz schrecklich findet. Das konnte ich nicht so stehenlassen. Schwäbisches Essen ist doch so lecker." Sie erzählt schmunzelnd weiter: "Herausgestellt hat sich, dass mein Patenkind deutsches Essen nur als Kantinen-Essen kennt. Da war mir klar, das müssen wir ändern."
Chancenschenkerin zu sein, ist für Bauer zum integralen Bestandteil ihres Alltags geworden. "Wer Lust darauf hat und Offenheit gegenüber Menschen und Kulturen mitbringt, der wächst an den Aufgaben und Erfahrungen, die man als Patin macht", erklärt Bauer. "Ich glaube, man sollte ohne konkrete Vorstellungen in so eine Patenschaft gehen - und sich einfach auf die gemeinsame Zeit einlassen", resümiert sie. Auch vor bürokratischen Hürden und vor Herausforderungen, die in einer Beziehung zwangsläufig entstehen, hatte Bauer vor Beginn Respekt. "Allein gelassen wird man aber nie", erklärt sie. Um eben das zu verhindern, gibt es von der Caritas organisierte Treffen, die zum Austausch der Patinnen und Paten anregen. Dort werden die unterschiedlichsten Fragestellungen besprochen, so beispielsweise: Wie reagiert man in bestimmten Situationen? Was macht man, wenn es mit den Online-Meetings technisch eben doch nicht so einfach klappt? Welche Rolle nimmt man ein und wo werden Grenzen überschritten? Bei Bauer und ihrem Patenkind gab es kaum Herausforderungen. "Irgendwie hat es bei uns gleich zu Anfang schon gestimmt. Ich bin mir aber auch bewusst, dass das eben nicht immer der Fall ist," betont sie. "Gleichzeitig sollte man sich der Verantwortung bewusst sein, der man sich stellt. Man geht bewusst eine Beziehung zu einem jungen Menschen ein, der sich dann auf einen verlässt."
Dass sich nach dem ersten Kennenlernen aber eine so enge Beziehung ergeben würde, das hatte Bauer damals noch nicht geahnt. "Aber ich bin unglaublich dankbar dafür." Eine der schönsten Erinnerungen sei für sie der Moment gewesen, als ihr Patenkind ihr für ihre Hilfe eine Nachricht mit einem kleinen Herz-Emoji geschickt hat. "Eigentlich ist das ja nichts besonders," erklärt Leoni Bauer und ergänzt, "aber es war etwas Besonderes. Das hat etwas bedeutet und mich wirklich berührt."
Für Leoni Bauer haben sich die zwei Jahre des Nachdenkens gelohnt: "Ich habe nicht nur das Gefühl, etwas sehr Sinnvolles zu tun, sondern auch eine Freundin gefunden, die mir so nie über den Weg gelaufen wäre."
Rahel Stürner